Erinnerung und Verleugnung: Ein Gespräch mit Detlef Garbe

Am 15. Dezember 2021 führen wir ein Interview mit Detlef Garbe. Im Mittelpunkt unseres Gesprächs steht die frühe Forschung zur nationalsozialistischen Verfolgung der als »Asoziale« und »Berufsverbrecher« Stigmatisierten.

Detlef Garbe war langjähriger Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und steht zum Zeitpunkt unseres Treffens der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte vor. Darüber hinaus gehörte er 1982 zu den Gründungsmitgliedern der Hamburger Projektgruppe für die vergessenen Opfer des NS-Regimes. Diese Gruppe forschte zu denjenigen Verfolgten, die nicht oder nur unzureichend als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden, und setzte sich aktiv für die Unterstützung von Überlebenden wie Angehörigen ein.

Wir treffen Detlef Garbe in der Nähe des ehemaligen Versorgungsheimes Hamburg-Farmsen. Dieses Heim stellte während des Nationalsozialismus einen Dreh- und Angelpunkt der »Asozialen«-Verfolgung in Hamburg dar. Bereits im Vorfeld hatte Detlef Garbe uns von einem Gedenkstein erzählt, der sich vor dem Gebäude befinden soll. In der ersten Stunde unseres Treffens suchen wir alles ab: Den Park vor dem Gebäudekomplex, wir schauen hinter jedem Baum und Mülleimer, umrunden das Gebäude – der Stein ist nicht auffindbar. Gemeinsam kommen wir zu dem Schluss, dass diese Suche sinnbildlich für die Verleugnung der Opfer und die rudimentäre Erinnerung an sie steht. 

Interview mit Detlef Garbe in Hamburg-Farmsen
Interview mit Prof. Dr. Detlef Garbe in Hamburg-Farmsen. Foto: Stiftung Denkmal

Das daran anschließende Interview dreht sich vor allem um die Projektgruppe: Was war der Anstoß zur Gründung einer solchen Gruppe? Wie gingen sie vor? Und wann und wo trafen sie auf Widerstände? Detlef Garbe berichtet sowohl von der wissenschaftlichen Arbeit der Hamburger Initiative als auch über den entschiedenen Einsatz für die Betroffenen und Angehörigen. So richteten die Beteiligten 1989 eine Beratungsstelle für Verfolgte des NS-Regimes ein.

Mehr über die frühe Forschung und die Arbeit der Projektgruppe für die vergessenen Opfer des NS-Regimes erfahrt ihr in einem Kurzfilm, der demnächst hier zu sehen sein wird.

Merle Stöver

Abkürzung für Konzentrations­lager

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Als »Berufs­verbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufs­verbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.

Menschen werden als »A­soziale« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.