Die Verleugneten. Verfolgt als »Asoziale« und »Berufsverbrecher« unter Nationalsozialismus und Faschismus in Europa
Die Konferenz »Die Verleugneten. Als ›Asoziale‹ und ›Berufsverbrecher‹ unter Nationalsozialismus und Faschismus in Europa verfolgt« findet am 6. und 7. November 2025 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln statt.
Sie wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und der Universität Barcelona / EUROM – European Observatory of Memories organisiert – mit Unterstützung von Catalonia International, einem öffentlich-privaten Zusammenschluss, der besonders Qualifizierte und Institutionen wie Universitäten aus Katalonien mit Partnern weltweit zusammenbringt. Die Konferenz ist Teil der Veranstaltungsreihe »Subaltern Memories«, die seit 2022 jährlich von EUROM organisiert wird, um Erinnerungen bestimmter sozialer Gruppen zu thematisieren, die zum Schweigen gebracht oder marginalisiert wurden – Gemeinschaften, die in der Vergangenheit unter massiver Unterdrückung gelitten haben. Mit diesem Ansinnen knüpft sie direkt an die Ausstellung »Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933–1945 – heute«, die vom 8. Oktober 2025 bis zum 4. Januar 2026 im NS-Dokumentationszentrum zu sehen sein wird.
Zwischen 1933 und 1945 griffen Behörden und Polizei soziale Vorurteile auf. Sie kontrollierten, schikanierten und beraubten Zehntausende Menschen ihrer Freiheit. Viele wurden ermordet. Ideologischer Bezugspunkt war das Konzept der »deutschen Volksgemeinschaft«. Ihre Errichtung sollte durch die gewaltsame Durchsetzung einer ›Ordnung der Ungleichheit‹ erreicht werden.
Inwieweit spielten diese Ordnungsprinzipien bei der Unterwerfung großer Teile Europas und seiner Millionen nichtdeutscher Bevölkerungen ab 1938/39 eine Rolle? Im besetzten Europa standen Raub, Zwangsarbeit und rassistische, antiziganistische und antisemitische Massenmorde im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Politik. Dennoch: Neben dieser Hauptpolitik der Vernichtung setzten die deutschen Besatzer auch ausgrenzende Ordnungskonzepte gegenüber traditionell marginalisierten Gruppen durch. Wie in Deutschland stützten sie sich jedoch in erster Linie auf erbbiologische Annahmen (»Sozialrassismus«).
Die Forschung zu diesem Thema steckt noch in den Kinderschuhen und ist wenig aufeinander abgestimmt. Eine Bewertung im Zusammenhang mit der Gesamtgeschichte der deutschen Herrschaft in Europa fehlt. Zentrale Fragen der Konferenz lauten daher: In welchem Zusammenhang steht die Verfolgung von »Asozialen« und »Berufsverbrechern« in Deutschland und den besetzten Gebieten? Ist es ein lohnender Forschungsansatz und ist es im Hinblick auf die Erinnerungspolitik überhaupt legitim, sich auf Praktiken der Ausgrenzung marginalisierter Gruppen in den von Deutschland besetzten Gebieten zu konzentrieren – oder besteht umgekehrt die Gefahr einer Verwässerung, die Gefahr, dass durch die Einbeziehung solcher intersektionalen Perspektiven und durch die Fokussierung auf diese ausgrenzenden Aspekte der Verfolgung die Gesamtdimensionen und Hauptabsichten des deutschen Besatzungsregimes aus den Augen verloren werden?
Die Konferenz konzentriert sich einerseits auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und die jeweiligen Institutionen der Verfolgung in einzelnen besetzten Gebieten und verbündeten faschistischen Staaten wie Spanien unter der Herrschaft von Franco-Diktatur. Andererseits liegt ein besonderer Schwerpunkt auf den individuellen Erfahrungen der Verfolgten und Aspekten der Erinnerungskultur. Wo haben die Verfolgten gesprochen? Kann das Vorannahme, dass sie keine eigenen Quellen hinterlassen haben, widerlegt werden? Im Europa der Nachkriegszeit hielten sich marginalisierende Stereotypen hartnäckig, den Betroffenen wurde eine Entschädigung verweigert, und ihre Erfahrungen von Ungerechtigkeit werden geleugnet. Die Kontinuitäten der Ausgrenzung bestehen bis heute fort. Die Konferenz befasst sich daher auch mit heutigen Rechtskonzepten und Polizeipraktiken.
Im Rahmen dieser Konferenz bieten die Kurator/-innen (Ulrich Baumann, Oliver Gaida, Laura López Mras, Christa Schikorra) auch Führungen durch die Ausstellung »Die Verleugneten« an (6. November 2025, 16:30 Uhr).
Eine Übersetzung (Englisch – Deutsch) ist während der Konferenz verfügbar.
Wir bitten Sie, sich bis zum 1. November für die Konferenz anzumelden. Bitte senden Sie Ihre Anmeldung an
Programm
6. November 2025
18:30 Uhr | Einstieg der Organisator/-innen
19:00 Uhr | Round Table: Mehr als ein Jahrzehnt des Kampfes für die »Verleugneten«: Was wurde bisher erreicht?
Andreas Kranebitter (Wien), Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW)
Frank Nonnenmacher (Frankfurt am Main), Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus (Vevon)
Ulrike Winkler (Trier), Beirat der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
7. November 2025
09:30 Uhr | Einstieg der Organisator/-innen
10:00 Uhr | First Panel: Kontinuitäten und Wandel ausgrenzender Politik – Erfahrungen in unterschiedlichen Herrschaftssystemen
César Lorenzo Rubio (Barcelona): Kriminalisierung sozialer Abweichung in der Franco-Diktatur: die Gesetze gegen Vagabundieren und gegen ›Gemeingefährlichkeit‹ (1933-1978)
Øystein Hetland (Oslo): Anomalie oder Kontinuität? Die Verfolgung von »Außenseitern« im besetzten Norwegen
Jens Jäger (Köln): Nicht so versteckte Verfolgung – Interpols Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs
11:45 Uhr | Second Panel: Unbekannte Verfolgung in den besetzten Gebieten – Unbekannte Geschichten der Gewalt
Pavla Plachá (Prag): »Schutz der Volksgemeinschaft« im Protektorat Böhmen und Mähren. Übersehene Schicksale der in das KZ Ravensbrück deportierten »Asozialen« und »Berufsverbrecherinnen«
Jérôme Courtoy / Daniel Thilman (Esch-sur-Alzette / Luxembourg): Verleugnet, vergessen, wiederentdeckt: Sozialrassistische Verfolgung im besetzten Luxemburg
Rense Havinga (Groesbeek): Forschung über als »asozial« eingestufte Häftlinge in Konzentrationslagern in den Niederlanden
14:15 Uhr | Third Panel: Erinnerungen, Gedenkstätten, Angehörige marginalisierter Gruppen
Joanna Ostrowska (Warsaw): Geschichte marginalisierter Gruppen, besonders als »Asoziale« registrierte weibliche Häftlinge sowie homosexuelle Häftlinge, und ihr Platz in der polnischen Erinnerungspolitik
Núria Ricart Ulldemolins (Barcelona): Gedenken als Prozess. Das Frauengefängnis Les Corts – ein unvollendeter Ort
Pascal Luongo (Marseille): Marseille 1943, eine Stadt und ihre Einwohner/-innen im Visier: Anatomie eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit
16:00 Uhr | Abschließende Diskussion
mit zusammenfassendem Kommentar von Stefanie Endlich (Berlin)
Organisationsteam: Ulrich Baumann, Henning Borggräfe, Oliver Gaida, Oriol López-Badell
Menschen werden als »asozial« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.
Abkürzung für Konzentrationslager
Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrationslagern inhaftiert.
Die »Volksgemeinschaft« ist das nationalsozialistische Ideal des Zusammenlebens von deutschen »Volksgenossen«. Wer dazugehört und wer nicht, bestimmen rassistische Kriterien. Die Ausgeschlossenen werden als »Volksschädlinge« herabgewürdigt. Zu ihnen zählen Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma, politische Gegner/-innen, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, aber auch »Asoziale« und »Berufsverbrecher«.
Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrationslagern inhaftiert.
Nach 1945 gibt es verschiedene Entschädigungsregelungen für Verfolgte des Nationalsozialismus. In Westdeutschland gilt das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) über Geld- bzw. Rentenleistungen. In der DDR erhalten Überlebende Geld und Sachleistungen von den »Ausschüssen der Opfer des Faschismus«. In Österreich regelt das Opferfürsorgerecht mögliche Ansprüche. In allen drei Staaten bleiben als »Asoziale« und »Berufsverbrecher« Verfolgte über Jahrzehnte von Entschädigungen ausgeschlossen.
Als »Berufsverbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufsverbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.
Menschen werden als »Asoziale« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.