Heinrich Schäfer

Heinrich Schäfer

geboren am 2. Januar 1902 in Marburg – hingerichtet am 6. Juni 1944 in Frankfurt/Main

Am 27. Februar 1934 verhaftet die Kriminalpolizei Heinrich Schäfer und nimmt ihn in »polizeiliche Vorbeugungshaft«. Dem 32-Jährigen wirft sie vor, ein »Berufsverbrecher« zu sein. Begründet wird die Anschuldigung mit Straftaten, die teils Jahre zurückliegen. Die meist kurzen Gefängnisstrafen sind längst verbüßt. Zum Zeitpunkt der Festnahme lebt Heinrich Schäfer mit seiner Familie »Am Krekel«, einer Barackensiedlung für Wohnungslose in Marburg. Die Menschen wohnen in diesen einfachsten Unterkünften, da sie oftmals ihre Miete nicht mehr zahlen können.

Kurz nach ihrer Machtübernahme 1933 führen die Nationalsozialisten die »Vorbeugungshaft« als Instrument der »Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung« ein. Die Kriminalpolizei wird damit ermächtigt, mehrfach vorbestrafte Personen erneut festzunehmen und auf unbestimmte Zeit in Konzentrationslager zu überstellen. Mit einem Erlass vom Dezember 1937 geraten auch Personen ins Visier, denen »verbrecherische« oder »asoziale« Neigungen unterstellt wurden. Richterliche Überprüfungen gibt es nicht.

Als »Berufs­verbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufs­verbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.

Zum »Berufs­verbrecher« gemacht

Für die Kriminalpolizei steht die ärmliche Wohnsituation der Familie in Kontrast zu Heinrichs Erscheinung und Auftreten. Für einen Wohlfahrtsempfänger sei er zu fein gekleidet. Die Polizei sieht das als Beweis, dass er den Unterhalt für sich und seine Familie mit Diebstählen bestreite. Eine Straftat kann sie ihm nicht nachweisen. Dennoch bezeichnet die Kriminalpolizei ihn als »Berufsverbrecher«.

Auszug aus dem »Kriminellen Lebenslauf« von Heinrich S.
Februar 1934, Auszug aus dem »Kriminellen Lebenslauf« von Heinrich Schäfer
Quelle: Arolsen Archives

Schäfer ist ein arbeitsscheuer Patron, der aber trotzdem stets auf das Feinste gekleidet ist und dieses nur auf unehrliche Weise durch den Erlös aus seinen Straftaten bestritten hat; er ist hier als Berufsverbrecher bekannt, denn er lebst fast ausschließlich vom Erlös seiner Straftaten. In seinen Kreisen hat er den Spitznamen „Baron“.
Schäfer ist z. Zt. Wohlfahrtsunterstützungsempfänger, kein Rentenempfänger. Über sein Gesamtverhalten und sein Gebahren können die Krim.-Ass. Herrmann, Pohle und Heyer Aussagen machen.

Auf der Polizeiwache soll Heinrich Schäfer ein Protokoll unterschreiben, dass er als »Berufsverbrecher« inhaftiert wird. Doch er verweigert die Unterschrift. Er widerspricht dem Vorwurf, ein »Berufsverbrecher« zu sein, der nicht arbeite und seinen Lebensunterhalt nur mit Diebstählen bestreite.

Vordruck C.

Abschrift:
Marburg-Lahn, am 6. März 1934.

Der Oberbürgermeister
als Ortspolizeibehörde

Eröffnungsverhandlung.

Vorgeführt erscheint der Elektromonteur Heinrich Wilhelm Schäfer
geb. am 2.1.1902
in Marburg-Lahn,
zuletzt wohnhaft in Marburg-Lahn,
am Krekel 3 1/2 , (Straße und Hausnummer)

und erklärt:

Mir ist heute eröffnet worden, daß ich auf Grund des – II C II 31 Nr. 356/33- und vom 10.2.1934 –II C II Nr. 22 37/34-

am 27. Februar 1934

in polizeiliche Vorbeugungshaft genommen worden bin, weil als Berufsverbrecher im Sinne der Erlasse zu betrachten bin

v.g.u.
Unterschrift verweigert, da

er kein Berufsverbrecher sei.

g.w.o.
gez. Dieterich,
Kriminalbezirkssekretär.
(Dienstbezeichnung)

Beglaubigt:
Kriminalbezirkssekretär

Dass er sich weigert, die Bezeichnung »Berufsverbrecher« anzuerkennen, macht jedoch keinen Unterschied. Im März 1934 inhaftiert ihn die Polizei zunächst im Konzentrationslager Lichtenburg, später in den Konzentrationslagern Esterwegen, Sachsenhausen und Flossenbürg.

Nach nahezu fünf Jahren in Konzentrationslagern wird die »Vorbeugungshaft« gegen Heinrich Schäfer Ende Januar 1939 aufgehoben. Vor seiner Entlassung aus dem Lager muss er sich wie alle anderen auch dazu verpflichten, »nie über die Konzentrationslager« zu sprechen.

Entlassungserklärung von Heinrich S. gegenüber der Kommandantur in Flossenbürg. Ein Transkript des Dokuments findet sich im nächsten Abschnitt.
Januar 1939, Entlassungserklärung gegenüber der Kommandantur des K­Z Flossenbürg
Quelle: Arolsen Archives

Konzentrations­lager Floßenbürg
Kommandantur.

Erklärung.

Ich, der Vorbeugungshäftling Heinrich Schäfer
geb. am 2.1.02 in Marburg/Lahn
wohnhaft in Marburg/ a.d. Lahn, Am Krekel 3 ½
erkläre hiermit folgendes:

  1. Ich werde mich nie gegen den nationalsozialistischen Staat oder seine Einrichtungen, weder in Rede noch in Schrift wenden.
  2. Sobald mir Handlungen gegen das jetzige Staatswesen, die NSDAP., oder ihre Untergliederungen bekannt werden, verpflichte ich mich, dieses sofort der Polizeibehörde zu melden.
  3. Ich habe mir im Konzentrationslager Floßenbürg weder eine Krankheit zugezogen noch einen Unfall erlitten.
  4. Es ist mir bekannt, daß ich über Einrichtungen der Konzentrationslager nicht sprechen darf.
  5. Die mir bei meiner Festnahme abgenommenen Gegenstände habe ich zurück erhalten.
  6. Ersatzansprüche kann und werde ich nicht stellen.
  7. Ein Zwang ist bei Abgabe dieser Erklärung nicht auf mich ausgeübt worden.
  8. Mir ist bekannt, daß ich mich bei meiner Ankunft in Marburg/Lahn unverzüglich bei der Kriminalpolizei Marburg/Lahn zu melden habe.
  9. Ausserdem habe ich zur Auflage erhalten vier Wochen keinen Alkohol zu trinken.

Floßenbürg, den 24. Januar 1939.

H. S.
Unterschrift.

Dienststelle, die die Entlassung angeordnet hat:

Heinrich Schäfer kehrt zu seiner Familie nach Marburg zurück. Die nächsten Jahre arbeitet er als Aushilfsheizer in der Landesheilanstalt Marburg. Doch auch in Freiheit steht er unter polizeilicher Kontrolle

Am 30. September 1943 verhaftet die Gestapo Marburg Heinrich Schäfer. Er habe – so heißt es in den Akten – gegen das »Heimtückegesetz« verstoßen und sich gegen den nationalsozialistischen Staat gestellt.

Heinrich Schäfer wird am 6. Juni 1944 in Frankfurt am Main wegen »Wehrkraftzersetzung« hingerichtet. Er ist zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 42 Jahre alt.

Bereits 1949 bemühen sich seine Frau Ida und die gemeinsamen Töchter um eine Entschädigung. Doch erst 1958 erhalten sie eine Entschädigungszahlung sowie eine monatliche Rente. Ausschlaggebend hierfür ist jedoch nicht die KZ-Haft, sondern Heinrich Schäfers Verstoß gegen das »Heimtückegesetz«. Auf dieser Grundlage erkennen die Behörden ihn als politischen Gegner des nationalsozialistischen Regimes an.

Der SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS) wird 1931 durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler zunächst als Nachrichtendienst der SS (Schutzstaffel) gebildet und soll Informationen über politische Gegner/-innen und Oppositionsströmungen innerhalb der Nationalsozialisten sammeln. Ab 1934 wird der SD zum Nachrichtendienst der NSDAP. Er untersteht Reinhard Heydrich, der den SD 1939 im neugebildeten Reichssicherheitshauptamt mit der Sicherheitspolizei (Gestapo und Kripo) zusammenlegt.

Abkürzung für Konzentrations­lager

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Kurz nach ihrer Machtübernahme 1933 führen die Nationalsozialisten die »Vorbeugungshaft« als Instrument der »Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung« ein. Die Kriminalpolizei wird damit ermächtigt, mehrfach vorbestrafte Personen erneut festzunehmen und auf unbestimmte Zeit in Konzentrationslager zu überstellen. Mit einem Erlass vom Dezember 1937 geraten auch Personen ins Visier, denen »verbrecherische« oder »asoziale« Neigungen unterstellt wurden. Richterliche Überprüfungen gibt es nicht.

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Im Dezember 1934 erlässt die nationalsozialistische Führung das »Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen«. Mit ihm stellt sie Äußerungen unter Strafe, die »das Wohl des Reiches, das Ansehen der Reichsregierung oder der NSDAP schwer schädigen«. Die Nationalsozialisten nutzen den Tatbestand auch, um Personen, an deren Lebensstil sie Anstoß nehmen, in Gefängnisse und Lager zu verbringen.

Die Nationalsozialisten schaffen die »Geheime Staatspolizei« zur Bekämpfung politischer Gegner/-innen. Auch an der Verfolgung von Minderheiten ist sie maßgeblich beteiligt. Ohne richterliche Prüfung können Beamte Wohnungen durchsuchen, Personen inhaftieren, in Konzentrationslager bringen oder ermorden. Sie erzwingen in Verhören Geständnisse unter Folter. In den besetzten Gebieten sind Ge­stapo­beamte an Massenerschießungen und anderen Verbrechen beteiligt.

Nach 1945 gibt es verschiedene Ent­schädigungsregelungen für Verfolgte des Nationalsozialismus. In Westdeutschland gilt das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) über Geld- bzw. Rentenleistungen. In der DDR erhalten Überlebende Geld und Sachleistungen von den »Ausschüssen der Opfer des Faschismus«. In Österreich regelt das Opferfürsorgerecht mögliche Ansprüche. In allen drei Staaten bleiben als »Asoziale« und »Berufsverbrecher« Verfolgte über Jahrzehnte von Ent­schädigungen ausgeschlossen.

Als »Berufs­verbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufs­verbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.

Der Begriff wurde von Behörden bereits vor 1933 verwendet. Die Nationalsozialisten verunglimpfen damit Arbeitslose, denen sie vorwerfen, sich keine Arbeit suchen zu wollen. Diese Personen erhalten keine staatliche Hilfe – stattdessen zwingt die Fürsorge sie zu schwerer Arbeit und sperrt die Polizei sie vielfach in Konzentrationslagern ein. Allein 1938 verhaftet sie mehr als 10.000 Personen. »Arbeitsscheue« gilt den Nationalsozialisten als erblich und als Gefahr für die »Volksgemeinschaft«.