In der Erinnerungsliteratur zu Hafterfahrungen in deutschen Konzentrationslagern nehmen Häftlinge, die einen schwarzen Winkel (»Asoziale«) oder einen grünen Winkel (»Berufsverbrecher«) auf ihrer Häftlingskleidung tragen mussten, oft eine Sonderstellung ein. Insbesondere die als »Berufsverbrecher« Verfolgten werden in Hinsicht auf ihr Verhalten in den Lagern wahlweise als skrupellose Egoisten oder als moralisch labile Opportunisten beschrieben, die besonders häufig in der Lagerhierarchie zu Funktionshäftlingen (»Kapo«) aufstiegen, und somit angeblich zu willigen Handlangern der SS wurden.
Gerade der letztgenannte Vorwurf war für die Entscheidung ausschlaggebend, bei der Errichtung des internationalen Mahnmals in der KZ-Gedenkstätte Dachau auf die gestalterische Einbeziehung grüner und schwarzer Winkel zu verzichten. Die Gedenkanlage des serbisch-jugoslawischen Künstlers Nandor Glid (1924 – 1997) erinnert an andere Häftlingsgruppen mit einer künstlerischen Wiederaufnahme von Winkeln bzw. Davidsternen in verschiedenen, von der SS gewählten Farben und Farbkonstellationen.


© Dr. Stefan Treiber
Mit der Vorstellung der »Grünen« und »Schwarzen« als gewalttätigen Funktionshäftlingen befasste sich im Herbst 2023 ein Forschungsprojekt von Studierenden der Universität der Bundeswehr unter Leitung von Dr. Stefan Treiber. Ziel war es, Funktionshäftlinge namentlich und nach dem Grund ihrer Haft zu identifizieren und das so gewonnene Bild mit der Erinnerungsliteratur über das KZ Dachau abzugleichen. Dabei sollte die These der besonderen Brutalität dieser beiden Gruppen gegenüber Mithäftlingen überprüft werden. Darüber hinaus sollte auch untersucht werden, wie es um die Überlebenschancen der »grünen« und »schwarzen« Häftlinge bestellt war.
Insgesamt konnten aus den untersuchten Quellen 753 Funktionshäftlinge aus dem KZ Dachau identifiziert werden. Schon seit längerem existiert die Vermutung, dass diese Positionen in Dachau überwiegend von politischen Häftlingen besetzt waren. Dies ergebe sich daraus, dass die politischen Häftlinge die erste Generation der Häftlinge seit Einrichtung des Lagers darstellten, während Personen, die anderen Gruppen zugeordnet wurden, erst später ins KZ Dachau kamen. Die politischen Häftlinge stellten somit von Beginn an eine Art Rückgrat der Lagerhierarchie dar. Die konkrete Recherche unterstrich diese bisherige Darstellung: 95 % (714 Personen) aller ermittelten Funktionshäftlinge waren »Schutzhäftlinge« (das heißt politische Häftlinge). Dagegen konnte nur bei 3 % (22 Personen) ein grüner und bei 1,3 % (10 Personen) ein schwarzer Winkel nachgewiesen werden.[1]
Bei 42 Funktionshäftlingen (d.h. 6 % der ermittelten Gesamtmenge) konnte ein gewalttätiges Verhalten gegenüber Mithäftlingen durch Erwähnungen in der Literatur und den Archivquellen belegt werden. 81 % dieser gewalttätigen Häftlinge waren »Politische«, d.h. sie mussten einen roten Winkel tragen. Dies erschien erst einmal offensichtlich, da 95 % aller Funktionshäftlinge »Politische« waren. Es zeigte aber auch, dass selbst diese Gruppe, aus welchen Gründen auch immer, Gewalt anwendete, um ihre Ziele zu erreichen oder ihre Position zu untermauern. Allerdings war auch der Umkehrschluss insofern bemerkenswert, als dass 94 % der ermittelten Funktionshäftlinge keine Gewalt in ihrer Funktion ausübten (bzw. dies nicht belegt werden konnte).
Bei der Auswertung zu den allgemeinen Überlebenschancen von »grünen« und »schwarzen« Häftlingen konnten jeweils über 1.300 Häftlinge namentlich identifiziert und untersucht werden. Die erschreckende Erkenntnis war, dass diese beiden Gruppen überproportional hohe Todesraten aufwiesen. Jeweils über 35 % der beiden Häftlingsgruppen überlebten die Haftzeit nicht! Zum Vergleich: die durchschnittlichen Todesquote im KZ-Dachau lag bei ca. 20 %, unter den Funktionshäftlingen sogar bei unter 10 %. Menschen, die in der Gesellschaft wie auch im KZ ausgegrenzt waren, überlebten die KZ-Haft somit überdurchschnittlich häufig nicht.
[1] Differenz zu 100 % = es lagen keine Angaben zu Haftgrund / Winkelfarbe vor.
Dr. Stefan Treiber
Die SS (»Schutzstaffel«) unter der Leitung von Heinrich Himmler versteht sich als elitärer Wehrverband des nationalsozialistischen Staates. Mit der Übernahme und dem Umbau der Polizei durch Himmler wird die SS zum zentralen Terrorinstrument des Regimes. 1934 erhält sie erhält die Kontrolle über sämtliche Konzentrationslager. Das 1939 gebildete Reichssicherheitshauptamt, die Planungszentrale für die Verbrechen im deutsch besetzten Europa, ist ihr zugeordnet.
Abkürzung für Konzentrationslager
Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrationslagern inhaftiert.
(grüner Winkel, schwarzer Winkel)
In den Konzentrationslagern beraubt die SS die Häftlinge ihrer Namen und vergibt Nummern. Neben der Nummer müssen die Häftlinge unterschiedlich farbige Winkel an ihrer Kleidung tragen. Die Winkel verweisen auf den Grund der Haft. Die SS schafft damit auch eine Hierarchie der Gefangenen. Die Farbe des Winkels hat Einfluss auf die Behandlung im Lager. Personen, die den schwarzen Winkel tragen, gelten als »asozial«, Menschen mit dem grünen Winkel als »Berufsverbrecher«.
Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrationslagern inhaftiert.
In den Konzentrationslagern ernennt die SS einige Gefangene zu sogenannten Häftlingsvorarbeitern. Für eine bessere Behandlung müssen sie ihre Mithäftlinge überwachen und Anweisungen der SS durchsetzen. Diese beabsichtigte Umkehr von Opfer und Täter führt zu Misstrauen und Spaltung unter den Gefangenen. In vielen Erinnerungsberichten beschreiben Überlebende die sogenannten Kapos oder Funktionshäftlinge als gewalttätig und grausam.
In den Konzentrationslagern ernennt die SS einige Gefangene zu sogenannten Häftlingsvorarbeitern. Für eine bessere Behandlung müssen sie ihre Mithäftlinge überwachen und Anweisungen der SS durchsetzen. Diese beabsichtigte Umkehr von Opfer und Täter führt zu Misstrauen und Spaltung unter den Gefangenen. In vielen Erinnerungsberichten beschreiben Überlebende die sogenannten Kapos oder Funktionshäftlinge als gewalttätig und grausam.
Als »Berufsverbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufsverbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.
Menschen werden als »Asoziale« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.