Zwischen Aktivismus und Familienerinnerung: Ein Gespräch mit Frank Nonnenmacher

Am 14. Dezember 2021 treffen wir Frank Nonnenmacher. In unserem Interview sprechen wir sowohl über seinen Einsatz für die Anerkennung der als »Asoziale« und »Berufsverbrecher« Verfolgten als Opfer des Nationalsozialismus als auch über das Leben seines als »asozial« verfolgten Onkels Ernst Nonnenmacher.

Frank Nonnenmacher, Sozialwissenschaftler und emeritierter Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, hatte gemeinsam mit vier weiteren deutschen und österreichischen Wissenschaftler/-innen die Initiative für den 2020 erfolgten Bundestagsbeschluss ins Leben gerufen. 2014 veröffentlichte er zudem eine Doppelbiografie über seinen Vater Gustav und dessen Bruder Ernst.

Interview mit Frank Nonnenmacher in Frankfurt/Main
Interview mit Prof. Dr. Frank Nonnenmacher in Frankfurt/Main. Foto: Stiftung Denkmal

Schon vor dem Interview ahnen wir, wie facettenreich das Gespräch sein wird. Denn Frank Nonnenmacher spricht in verschiedenen Rollen mit uns: als politischer Aktivist und Wissenschaftler, aber genauso auch als Angehöriger. Am Ende unseres mehrstündigen Interviews bitten wir Frank Nonnenmacher, das Foto seines Onkels Ernst in der Hand zu halten und anzuschauen. Dies dient zunächst lediglich der Produktion zusätzlicher Filmsequenzen, die wir im späteren Bearbeitungsprozess des Filmes benötigen könnten. Doch in dem langen Betrachten des Bildes entsteht ein unerwartet inniger Moment: Ein Moment, in dem er vor allem Angehöriger ist.

Frank Nonnenmacher mit einem Bild seines Onkels Ernst Nonnenmacher.
Frank Nonnenmacher mit einem Bild seines Onkels Ernst Nonnenmacher. Foto: Stiftung Denkmal

In unserem Gespräch erzählt Frank Nonnenmacher uns ausführlich von den Bemühungen des Initiativkreises um die Anerkennung: Auf welche Widerstände waren sie gestoßen? Wie fielen die Reaktionen der Öffentlichkeit und der Politik auf die Forderungen der Petition aus? Zudem berichtet er von dem Umgang seiner eigenen Familie mit seinem Onkel und der Erinnerung an diesen.

Das Ergebnis des Interviews ist in einem Zusammenschnitt mit einem Gespräch mit Dagmar Lieske, ebenfalls Initiatorin des Beschlusses, in dem Chronologie-Abschnitt »Verleugnung« zu sehen. Ihr findet es in dem Abschnitt: »Mit einer Petition zum Bundestagsbeschluss«.

Merle Stöver

Menschen werden als »asozial« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.

Als »Berufs­verbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufs­verbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.

Menschen werden als »A­soziale« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.