Anna Sölzer

Anna Sölzer

geboren am 13. Februar 1919 in Köln – zu Tode gekommen am 28. Dezember 1944 im KZ Ravensbrück

Frauen zu kontrollieren, die in Bordellen arbeiten oder andernorts der Prostitution nachgehen, hat eine lange Tradition. Doch die Überwachung durch Polizei und Gesundheitsämter wird im Nationalsozialismus umfassender. Zu Beginn des Krieges beschränken sie die Tätigkeit für Prostituierte weiter und überwachen ihren Aufenthalt ausnahmslos. So dürfen Frauen nur in Häusern arbeiten, die von der Kripo als »Bordellwohnungen« zugelassen sind, und nicht mehr auf öffentlichen Plätzen und Straßen um Freier werben. Die Kripo schreibt Anna Sölzer eine Liste von Auflagen vor und stellt sie unter »polizeiliche planmäßige Überwachung«. Sie wird als »Asoziale« bezeichnet. Die Kölnerin ist zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt. Auf dem Schriftstück der Anordnung sind detailliert Regeln aufgelistet, an die sie sich halten muss.

Die Kriminalpolizei (»Kri­po«), ein regulärer Zweig der Polizeiarbeit für die Verfolgung von Straftaten, ist im Nationalsozialismus neben anderen Aufgaben für die Kontrolle und Verfolgung »Gemeinschaftsfremder« zuständig.  Als »Berufsverbrecher« oder »Asoziale« bezeichnete Personen werden von ihr planmäßig überwacht und zeitlich unbeschränkt in Haft genommen.
Die Beurteilung, was als »asoziales Verhalten« gilt, bleibt den Polizisten überlassen – kleinste Verhaltensauffälligkeiten können zur Inhaftierung führen.

Menschen werden als »A­soziale« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.

Unter Kontrolle der Polizei

Dokument mit Auflagen für Anna Sölzer
November 1941, Auflagen für Anna Sölzer, die hier als »berufslos (Dirne)« bezeichnet wird
Quelle: Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – BR 2034 Nr.1787

Staatliche Kriminalpolizei
Kriminalpolizeileitstelle

                          
Köln, am 7. November 1941

Anordnung der polizeilichen planmäßigen Überwachung.

Die am 13. Februar 1919 in Köln
Kreis Köln, geborene berufslose (Dirne)
Anna Sölzer, wohnhaft in Köln, Friesenwall 18
Staatsangehörigkeit Reichsdeutsche, Religion (auch frühere) evangl.
ist wegen Übertretung der ihr als Sittendirne gemäß Erlaß vom 9.9.39 erteilten Auflagen
als Asoziale anzusehen.

Sie wird deshalb auf Grund des Erlasses des RuPrMdI. vom 14.12.1937 – Pol. S-Kr 3  Nr. 1682/37 – 2098 – unter polizeiliche planmäßige Überwachung gestellt.

Ihr werden nachstehende Verbote (Verpflichtungen) auferlegt:

  1. Verbot des Anwerbens von Männern zum Zwecke der Unzucht außerhalb der Wohnung oder der ihr bekanntgegebenen ausdrücklich zugelassenen Gaststätten.
  2. Verbot, sich zur Nachtzeit ohne polizeiliche Erlaubnis außerhalb der polizeilich gemeldeten Wohnung aufzuhalten. Als Nachtzeit gilt die Zeit im Sommer von 22 – 5 und im Winter von 22 – 6 Uhr. Als Wohnung gilt die Bordellwohnung. Die Ihnen erteilte Erlaubnis, daß Sie neben ihrer Bordellwohnung noch eine zweite Wohnung haben dürfen, wird hiermit zurückgezogen.
  3. Verbot der Unterhaltung jeglicher Beziehungen zu Personen, die wegen Zuhälterei bestraft sind oder im Verdacht der Zuhälterei stehen.
  4. Verpflichtung, jeden Wechsel des Wohn- oder Aufenthaltsortes – neben der Verpflichtung zur Befolgung der allgemeinen polizeilichen Meldevorschriften – innerhalb 24 Stunden der Kriminalpolizei mitzuteilten.
  5. Verpflichtung, die für eine ärztliche Überwachung gegebenen Weisungen pünktlich zu befolgen und
  6. Verpflichtung, Schutzmittel, die für die Verhinderung der
  7. Übertragung einer Geschlechtskrankheit geeignet sind, vorrätig zu halten.

I. V. Sommer

Alles, was uns über Anna Sölzer bekannt ist, steht in einer Akte, die die Kölner Kriminalpolizei anlegt. Sämtliche abgebildeten Dokumente sind dieser entnommen.

Anna Sölzer wird am 7. November 1941 von der Polizei in einer Pension, in der sie Freier empfing, festgenommen. In den Häusern der Kölner Altstadt rund um den Dom und Groß St. Martin müssen die Bewohnerinnen regelmäßige Polizeirazzien fürchten. Als Grund ihrer Festnahme führt Kriminaloberassistent Benecken an, Anna Sölzer sei in Wohnungen angetroffen worden, wo sie nicht gemeldet sei. Sie erhält eine Verwarnung und strengere Auflagen. Sollte sie diese nicht einhalten, würde Anna Sölzer endgültig in Haft genommen.

Aktennotiz über Anna Sölzer
7. November 1941, Aktennotiz
Quelle: Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – BR 2034 Nr.1787

Köln, den 7.11.1941.

Bei der heutigen Kontrolle der Pension Ursulastr. 21 wurde dortselbst die Dirne Anna Sölzer, geb. 13.2.19 zu Köln, hier Friesenwall 18 polizeilich gemeldet, betroffen. Die S. war allein auf dem Zimmer, aus der Eintragung des Fremdenbuches ging jedoch hervor, daß sie dort mit dem aus dem beigefügten Fremdenzettel ersichtlichen Manne gewesen war. Eine Kontrolle des Untersuchungsscheines der G.B. ergab, daß sie schon am 6.11.41 zur Untersuchung bei der Gesundheitsbehörde hätte erschienen müssen.

Weiter wurde festgestellt, daß die S. seit 3.11.41 aus der hier gemeldeten Wohnung Friesenwall 18 fort ist. Nach eigenen Angaben steht sie seit 6.11.41 in dem Hause Kammachergasse 21 und ist in den Tagen vorher mit ihren Freiern angeblich in Häusern, die sie nicht näher bezeichnen kann, abgestiegen. Es besteht der dringende Verdacht, daß die S., entgegen den Anordnungen des Merkblattes, welches sie im Jannuar [sic!] 1941 erhielt, mit ihren Freiern in Hotels oder Pensionen genächtigt hat.
Erst im Mai dieses Jahres wurde die S. wegen eines Beischlafdiebstahls festgenommen und zu 4 Wochen Gefgs. verurteilt.

Bei der heutigen Kontrolle zeigte sich die S. sehr widerspenstig und konnte erst nach längeren Bemühungen zum Aufstehen und Mitgehen bewogen werden. Es dürfte angebracht erscheinen, auf Grund des Erlasses vom 9.9.39 Maßnahmen gegen die S. einzuleiten.

Benecken, KOA [=Kriminaloberkommissar].

Köln, den 7.11.1941.

17.K.
Urschriftlich

dem 15. K. durch K.V.

unter Zuführung der Sölzer mit der Bitte übersandt, der Sölzer
die im Erl. Vom 9.9.39 unter II Ziffer 1, 2, 4 und 6 bis 8 vorgeschriebenen Auflagen zu erteilen.

Feierabend

Fotos von Anna Sölzer
1941, Fotos von Anna Sölzer, die vom Erkennungsdienst der Kriminalpolizei Köln angefertigt werden
Quelle: Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – BR 2034 Nr.1787

Sieben Monate später, im Juli 1942, nimmt die Polizei Anna Sölzer erneut fest und bringt sie ins Gefängnis. Nachdem sie dort eine Strafe wegen Diebstahls verbüßt hat, ordnet die Kripo am 27. Juli 1942 die »polizeiliche Vorbeugungshaft« an.

Anna Sölzer wird ein »widerspenstiges Benehmen« bescheinigt, sie habe trotz mehrfacher Warnungen immer wieder gegen die Auflagen verstoßen. Die Polizei geht nicht davon aus, dass sie ihr Verhalten ändern wird. In dem beigefügten »Erb- und lebensgeschichtlichen Fragebogen« ist zu lesen, dass ihre Eltern verstorben sind und Anna Sölzer ihre Kindheit und Jugend im Städtischen Waisenhaus verbracht hat.

Die Anordnung polizeilicher Vorbeugungshaft bedeutet Einweisung in ein Konzentrationslager. Einen Monat später wird Anna Sölzer aus dem Gefängnis in Köln in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück gebracht. Dort registriert sie die Lagerverwaltung unter der Nummer 13830 als Häftling.

Dokument mit der Genehmigung der polizeilichen Vorbeugungshaft
27. August 1942, Genehmigung der polizeilichen Vorbeugungshaft und die Mitteilung, dass Anna Sölzer nach Ravensbrück zu bringen sei, mitgeteilt vom Reichskriminalpolizeiamt Berlin an die Staatliche Kriminalpolizei Köln
Quelle: Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – BR 2034 Nr.1787

Reichskriminalpolizeiamt
Tgb. Nr.: X 1446 A 2 b

Berlin, am 27. August 1942

An die
Staatliche Kriminalpolizei – Kriminalpolizei(leit)stelle
in Köln

Die Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft
gegen Anna Sölzer
13.2.1919 Köln geb. wird genehmigt.

Der Häftling ist mit dem nächsten Sammeltransport in das Konzentrationslager Ravensbrück zu überführen. Die Lagerleitung ist verständigt.

I.A.
gez. Böhlhoff

Das letzte Dokument in den Akten der Kriminalpolizei ist die Meldung ihres Todes. Es ist die Abschrift eines Funkspruchs aus dem Konzentrationslager Ravensbrück. Anna Sölzer stirbt kurz vor ihrem 26. Geburtstag.

Ob das Datum exakt ist und die Todesursache »Lungentuberkulose« stimmt, kann nicht überprüft werden. Wie es Anna Sölzer im Konzentrationslager ergangen ist, lässt sich nicht rekonstruieren. Sicher ist aber, dass das KZ Ravensbrück in diesem Winter 1944/45 vollkommen überfüllt ist. Es grassieren Hunger und Epidemien; die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. In diesen Monaten dort zu überleben, grenzt an ein Wunder. Die Todesrate verdreifacht sich. Zwischen Dezember 1944 und März 1945 sterben monatlich über 1.000 Frauen – durch Verhungern, Erschöpfung, Krankheit, Terror und Mord.

Die Toten lässt die SS im Krematorium des Lagers verbrennen, ihre Asche und Knochenreste werden in den nahegelegenen Schwedtsee gekippt.

Meldung über den Tod von Anna Sölzer
10. Januar 1945, Todesmeldung per Funkspruch
Quelle: Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – BR 2034 Nr.1787

Geheime Staatspolizei – Staatspolizeileitstelle Düsseldorf

++ KL RAVENSZRUECK NR. 27 3.1.1945 2158 =1 )222 =
AN DIE KRIPTL. KOELN .- –
DRINGEND, SOFORT VORLEGEN .- – –
BETRIFTT: ANNA SOELZER, GEZ. 2 13.2.1919
KOELN .- – –

AKTENZEICHEN: 15. K. V. H. ROEM. 2 NR 83. – – –
DER VORSTEHEND ERWAEHNTE HAEFTLING IST AM 28.12.44
UM 16.00 UHR IM HIESIGEN KRANKENBAUQ VERSTORBEN .-
TODESURSACHE: LUNGENTU 34(7)9‘3 .- –

UNTER BEZUGNAHME AUF DEN BEFEHL DES RF – S-
ROEM. 4 C 2 ALLG. NR. 40454 VOM 21.5.42
WIRD GEBETEN, DIE ANGEHOERIGEN VON DEM ABLEBEN
DES HAEFTLINGS SOFORT IN KENTNIS ZU SETZEN UND IHNE
AUSSERDEM OCH FOLGENDES MITZUTEILEN: EINE
UEBERFUEHRUNG DER LEICHE ODER ERDBESTATTUNG KANN

Z. ZT. NICHT STATTFINDEN .1. 38,3 538),- .3
AN DER EINAESCHERUNG IST NICHT MOEGLICH. EINE
BESICHTIGUNG DER LEICHE IST AUF ANORDNUNG DES LAGERARZTES
AUS HYGIENISCHEN GRUENDEN NICHT MOEGLICH. DIE LEIIHE WIRD
SOFORT EINGEAESCHERT. ANGEHTERIGE SIND HIER ICHTQ
VERMERKTWCQ DEN EMPFAENGER DES NACHLASSES BITTE ICH
MITZUTEILEN .- –

DER LAGERKOMMANDANT GEZ.: SUHREN      – STUBAF +

Die SS (»Schutzstaffel«) unter der Leitung von Heinrich Himmler versteht sich als elitärer Wehrverband des nationalsozialistischen Staates. Mit der Übernahme und dem Umbau der Polizei durch Himmler wird die SS zum zentralen Terrorinstrument des Regimes. 1934 erhält sie erhält die Kontrolle über sämtliche Konzentrationslager. Das 1939 gebildete Reichssicherheitshauptamt, die Planungszentrale für die Verbrechen im deutsch besetzten Europa, ist ihr zugeordnet.

Die Sturmabteilung ist der auf Adolf Hitler eingeschworene Wehrverband der NSDAP. Die SA schürt Antisemitismus und greift politische Gegner/-innen an. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler dient die SA in Preußen als »Hilfspolizei«, verhaftet und quält Menschen, oft in »wilden« Lagern. 1934 gehören ihr etwa vier Millionen Männer an.  Den Versuch der SA-Führung, aus ihr eine allumfassende Parteimiliz zu formen, beantwortet Hitler mit ihrer Entmachtung.

Abkürzung für Konzentrations­lager

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

»Sittendirne« gilt lange als synonyme Bezeichnung für Frauen, die polizeilich registriert der Prostitution nachgehen. Die Nationalsozialisten verschärfen die Regulierung und Kontrolle der Frauen. Dazu setzen sie die »Sittenpolizei« ein. Halten sich Prostituierte nicht an die Auflagen dieser Polizeiabteilung, drohen ihnen Strafen – bis hin zur Einweisung in Konzentrationslager.

Kurz nach ihrer Machtübernahme 1933 führen die Nationalsozialisten die »Vorbeugungshaft« als Instrument der »Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung« ein. Die Kriminalpolizei wird damit ermächtigt, mehrfach vorbestrafte Personen erneut festzunehmen und auf unbestimmte Zeit in Konzentrationslager zu überstellen. Mit einem Erlass vom Dezember 1937 geraten auch Personen ins Visier, denen »verbrecherische« oder »asoziale« Neigungen unterstellt wurden. Richterliche Überprüfungen gibt es nicht.

Die Kriminalpolizei (»Kri­po«), ein regulärer Zweig der Polizeiarbeit für die Verfolgung von Straftaten, ist im Nationalsozialismus neben anderen Aufgaben für die Kontrolle und Verfolgung »Gemeinschaftsfremder« zuständig.  Als »Berufsverbrecher« oder »Asoziale« bezeichnete Personen werden von ihr planmäßig überwacht und zeitlich unbeschränkt in Haft genommen.
Die Beurteilung, was als »asoziales Verhalten« gilt, bleibt den Polizisten überlassen – kleinste Verhaltensauffälligkeiten können zur Inhaftierung führen.

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Menschen werden als »A­soziale« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.