Franz Xaver Bremm

Franz Xaver Bremm

geboren am 4. August 1887 in Forstacker bei Regensburg – zu Tode gekommen am 1. März 1944 in der »Heil- und Pflegeanstalt« Eglfing-Haar

»Arbeit« spielt für die Nationalsozialisten und ihre Vorstellungen von einer »Volksgemeinschaft« eine zentrale Rolle. Bereits im September 1933, wenige Monate nach ihrer Machtübernahme, werden hunderte Menschen ohne festen Wohnsitz und geregelte Arbeitsverhältnisse in Konzentrationslager verschleppt (»Bettlerrazzia«).

Die »Volks­gemeinschaft« ist das nationalsozialistische Ideal des Zusammenlebens von deutschen »Volksgenossen«. Wer dazugehört und wer nicht, bestimmen rassistische Kriterien. Die Ausgeschlossenen werden als »Volksschädlinge« herabgewürdigt. Zu ihnen zählen Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma, politische Gegner/-innen, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, aber auch »Asoziale« und »Berufsverbrecher«.

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Im September 1933 durchsuchen Polizei und SA ohne vorherige Ankündigung Nachtasyle, Kneipen und Straßen im gesamten Deutschen Reich. Bei dieser »Bettler­razzia« handelt es sich um die erste zentrale Verhaftungswelle gegen Wohnungslose. Die Festgenommenen kommen meist nach sechswöchiger Haft frei. Manche werden im Anschluss in Arbeitshäuser, geschlossene Fürsorgeanstalten und Konzentrationslager verbracht.

Auf sich alleine gestellt

Auch Franz Xaver Bremm wird mehrfach wegen »Bettelei« festgenommen. Als er im Februar 1938 vor Kälte in der Scheune eines Bauern Schutz sucht, greift ihn die Polizei erneut auf. Franz Xaver Bremm sei, so lautet das Urteil der Behörden, »arbeitsscheu« und ein »unverbesserlicher Gewohnheitsbettler«, weshalb er im Frühjahr 1938 in das Arbeitshaus Rebdorf eingewiesen wird.

No. 2461.

Betreff: Einweisung des led. Landwirtschaftlichen Arbeiters Xaver Bremm, zuletzt wohnhaft in Forstacker Hs. No.10, in das Arbeitshaus Rebdorf.

Das Bezirksamt Regensburg erlässt in der bezeichneten Sache im 1. Rechtszug folgenden

Beschluss:

  1. Der ledige landwirtschaftliche Arbeiter Xaver Bremm, geb. am 4.8.1887 in Forstacker, zuletzt wohnhaft in Forstacker Hs.No.10 zur Zeit im Landgerichtsgefängnis Regensburg, wird mit Wirkung vom Eintreffen in die Arbeitsanstalt auf die Dauer von 1 Jahr in das Arbeitshaus Rebdorf eingewiesen.
  2. Xaver Bremm hat die Kosten der Unterbringung zu tragen. Für diesen Beschluss kommen eine Gebühr von 2. — RM und ein Zuschlag von 0,40 RM in Ansatz.
    Für die erwachsenen Gebühren wird einstweilige Befreiung gewährt.

Gründe:

Der ledige landwirtschaftliche Arbeiter Xaver Bremm wurde am 19.2.38 um 2.30 Uhr in einer Scheune in Mariaort, in der er übernachten wollte, festgenommen.
Die Feststellungen ergaben, dass Xaver Bremm wegen Bettels bereits 8 mal vorbestraft ist. Ausserdem hat er noch Vorstrafen wegen Körperverletzung und Arbeitsscheu. Obwohl Xaver Bremm erst am 15.2.38 nach Verbüssung einer Haftstrafe von 6 Wochen wegen Arbeitsscheu entlassen wurde, hat er in Mariaort bereits am 18.2.38 wieder gebettelt. Durch Strafbefehl des Amtsgerichtes Regensburg vom 23.2.38 Cs 161/37 VR 61/38 wurde Xaver Bremm daher neuerdings wegen Bettels zu 4 Wochen Haft verurteilt.
Nach diesen Feststellungen ist Xaver Bremm als ein unverbesserlicher Gewohnheitsbettler anzusehen.
Bei der wiederholt erwiesenen Neigung zu Straftaten ist aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und um Xaver Bremm zur Arbeit und zu einem geordneten Leben zu erziehen, die Einweisung in eine Arbeitsanstalt notwendig. Bei offenem Arbeitszwang bestünde die Gefahr, dass Xaver Bremm seiner bisherigen Arbeitsscheu und Lebensweise entsprechend, die Arbeitsstätte heimlich in kurzer Zeit wieder verlassen würde.

Die Dauer der Anstaltsverwahrung war vorher auf 1 Jahr festzusetzen.

Zu diesem Zeitpunkt hat Franz Xaver Bremm bereits niemanden mehr, der ihn bei sich aufnehmen möchte. Seit dem Tod seiner Eltern Mitte der 1930er Jahre, die sich um ihren erwachsenen Sohn gekümmert hatten, fehlt jeglicher familiäre Rückhalt. Franz Xaver gilt als geistig behindert und sei, so lautet die Begründung der Familie, zu keiner Arbeit zu gebrauchen. Er wird daher in der Erbfolge übergangen und sein Neffe erhält den Hof. Mit fast 50 Jahren muss Franz Xaver Bremm den Ort, an dem er sein gesamtes bisheriges Leben verbracht hat, verlassen.

Bald darauf gerät er in die Mühlen staatlicher Einrichtungen. Nach seiner elfmonatigen Haft im Arbeitshaus Rebdorf kommt Franz Xaver Bremm im April 1939 zur anschließenden Verwahrung in den Wanderhof Herzogsägmühle.

Das individuelle Schicksal vieler als »Asoziale« oder »Berufsverbrecher« Verfolgter lässt sich heute nur anhand von Akten und Dokumenten rekonstruieren. Die verfolgten Menschen selbst kommen dabei kaum oder nur in sehr seltenen Fällen zu Wort. Sie scheinen hinter immer gleichen Formulierungen und Beurteilungen der Institutionen geradezu unsichtbar zu werden. Von Franz Xaver Bremm sind einige handschriftliche Dokumente erhalten, die zumindest einen Einblick in seine Gedanken und Gefühle geben.

So bittet er bereits ein halbes Jahr nach seiner Einlieferung in den Wanderhof Herzogsägmühle den Regensburger Landrat um Entlassung. Er habe Sehnsucht nach seiner Heimat, würde immerzu an sie denken, schreibt er.

Ich bitte um Entlassung
[…] ich eine Unterkunft habe.
Darum bitte ich den Herrn
Landrat mir meine Bitte zu
gewähren. Indem ich immer Sehn-
sucht nach meiner Heimat habe.
Wenn ich des Morgens aufstehe,
denke an meine Heimat.
Möchte ich
wieder den […] Vaterhaus in
der Hoffnung mir meine Bitte
zu gewähren. Heil Hitler.
Indem ich mir dieses Los
nicht verdient habe möchte ich die
Herrn höflichst bitten meine
Bitte zu gewähren.

Herrn Xaver Bremm
Heil Hitler

Seine Bitte um Entlassung wird abgelehnt, daher wendet er sich ein Jahr später nochmals an den Landrat. Franz Xaver Bremm betont, dass er nie die Arbeit verweigert habe, und macht deutlich, dass er zurück auf den Hof, zurück in seine Heimat möchte.

An das Bezirksamt […]

Indem Ich ein ganzes Jahr in der Herzogsäg-
mühle Wanderhof eingewiesen bin […] ich das
mir wieder die Entlassung vergönnt sei. Ich habe
nie die Arbeit verweigert und bin nicht Arbeits-
scheu das hat mir der Bürgermeister aufgelegt.
Ich besitze kein Vater- und Muttergut und keinen
Pfennig von […] denselben erhalten. […] meines
Erachtens wollen sie haben sie haben das ich hier
absterben soll. Mein Bruder heißt Josef Bremm
[…] Ist aber leider gestorben.

Ich bitte das Bezirksamt der Herr Landrat
mir behilflich zu sein mir zu helfen. Ich kann mich auf
meine Verwandtschaft nicht verlaßen. Ich kann jede
Landwirtschaft in dem so viele im Kriege eingerükt
sind ich behilflich zu sein. Ich will auf den Gutshof
[…] in meinen alten Tagen.
Ich bin auch Frontsoldat
gewesen und besitze auch das Verdienstgreuz. Ich bitte
[…] mein Anliegen behilflich
zu sein. Hochachtungsvoll
mit deutschem
Gruß Heil Hitler

Franz Xaver Bremm

Auch seine erneute Bitte bleibt erfolglos – Franz Xaver Bremm wird nicht aus dem Wanderhof entlassen.

Verzweifelt setzt er ein Schreiben an seine Schwester Kreszenz auf:

Liebe Schwester, […]

Ich habe […] jetzt die Sache verbüßt und […]
[…] du brauchst jetzt nur zu
schreiben, er kann bei dir eintreten in die Arbeit
dann kommt er auch hieraus denn jetzt braucht
man die Leute […] weil jetzt
die Arbeit erst angeht denn ich bin jetzt
schon über ein Jahr hier darum bräucht (ich)
euch doch dass ich wieder hieraus kann
denn du darfst bloß dieses Schreiben (was) ich dir
beigelegt habe dem Herrn Landrat geben dann
kommt die Sache gleich in Gang denn
wenn ich jetzt nicht hinauskomm wo die
Arbeit da ist dann lasst hier mich in Gottes
Namen absterben denn ich bin schon noch
am Leben ich bin noch nicht gestorben.

Liebe Schwest.

Und schicke mir ein Bageht (Anm. d. Red.: »Paket«) das ich wieder
meine Freude habe denn sonst bin ich ihnen
ganz verdroßen weil ich immer zuhause bin
Ich beschließe mein Schreiben. Viele grüße an euch
alle sendet euch dein Bruder Xaver Bremm. Brieflein
flieg recht hoch und flieg recht nieder und
flieg in meine Heimat wieder. Mit
Gruß Heil Hitler.

Der Brief, den der Wanderhof nie an seine Schwester abschickt, soll sein letztes Hilfegesuch bleiben. Es ist auch das letzte handschriftliche Dokument von Franz Xaver Bremm, das sich in den Akten finden lässt.

Sein weiterer Lebensweg lässt sich nur über die Beurteilungen, die über ihn angefertigt werden, rekonstruieren.

Weil er laut Akte »zu keiner Arbeit [mehr] zu gebrauchen« und »in steigerndem Maße« pflegebedürftig sei, wird Franz Xaver Bremm im Januar 1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar überstellt. Dort ermorden ihn die Pfleger/-innen durch Nahrungsentzug und gezielte Vernachlässigung (»dezentrale Euthanasie«).

Als »Euthanasie« (altgriechisch: schöner Tod) bezeichnen die Nationalsozialisten den Massenmord an Menschen mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen. Im Rahmen der »Aktion T4« töten Ärzte und Pflegepersonal 1940/41 über 70.000 Patient/-innen aus Heil- und Pflegeanstalten. Nach Protesten der Bevölkerung wird das Programm offiziell abgebrochen, heimlich aber fortgeführt. Insgesamt werden bis 1945 europaweit etwa 300.000 Patient/-innen in Tötungsanstalten, durch Medikamente oder gezieltes Verhungern ermordet.

Menschen, die keine feste Wohnung haben und von Ort zu Ort ziehen, werden »Wanderer« genannt. Sie arbeiten im Sommer oftmals in der Landwirtschaft und überwintern in »Wanderhöfen«. Im Nationalsozialismus weist die Fürsorge Menschen dort unter Zwang ein und verpflichtet sie zu arbeiten. Die dort eingesperrten Personen sehen die Nationalsozialisten als »arbeitsscheu« und »minderwertig« an. Ihnen drohen Zwangssterilisation und Konzentrationslager.

»Heil-­ und Pflegeanstalt« ist eine veraltete Bezeichnung für eine psychiatrische Klinik. Im Nationalsozialismus werden in diesen Klinken Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen, aber auch Alkoholkranke, Homosexuelle und Personen, die sich sozial unangepasst verhalten, eingesperrt. Zwischen 1940 und 1945 werden mehr als 250.000 Menschen in deutschen Heil- und Pflegeanstalten ermordet.

Als »Berufs­verbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufs­verbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.

Menschen werden als »A­soziale« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.

Der Begriff wurde von Behörden bereits vor 1933 verwendet. Die Nationalsozialisten verunglimpfen damit Arbeitslose, denen sie vorwerfen, sich keine Arbeit suchen zu wollen. Diese Personen erhalten keine staatliche Hilfe – stattdessen zwingt die Fürsorge sie zu schwerer Arbeit und sperrt die Polizei sie vielfach in Konzentrationslagern ein. Allein 1938 verhaftet sie mehr als 10.000 Personen. »Arbeitsscheue« gilt den Nationalsozialisten als erblich und als Gefahr für die »Volksgemeinschaft«.

Arbeitshäuser gibt es in Europa seit dem 16. Jahrhundert. Im Deutschen Reich dienen sie als Haftstätten mit Arbeitszwang unter anderem für Personen, denen Landstreicherei, Bettelei, Prostitution oder Obdachlosigkeit vorgeworfen wird. Die Nationalsozialisten sperren ab 1933 zunächst Tausende in Arbeitshäuser. Bald darauf gehen sie verstärkt dazu über, Personengruppen, die sie als »Asoziale« bezeichnen, in Konzentrationslager zu verschleppen.