Spröde, aber mit emotionaler Wucht – Filmpremiere von »Der Zeuge«

Am 6. März 2023 findet im Filmhaus Nürnberg, dem kommunalen Kino der Stadt, ein Filmgespräch anlässlich der Premiere des Films »Der Zeuge« von Bernd Michael Lade statt.

Als ich die Anfrage erhielt, mich zusammen mit dem Regisseur, Verfasser des Drehbuches und Hauptdarsteller Bernd Michael Lade sowie dem Kameramann Guntram Franke nach der Filmvorführung auf ein Podium zu setzen, hatte ich ambivalente Gefühle. Schnell wird die »Expertin in Sachen Geschichte« zur Instanz, Dargebotenes als »richtig« oder »falsch« einzuordnen.

Um was geht es in dem Film überhaupt?

Im Zentrum des Films »Der Zeuge« stehen die Aussagen des ehemaligen KZ-Häftlings Carl Schrade, der elf Jahre in fünf verschiedenen nationalsozialistischen Konzentrationslagern überlebte. Vor einem US-amerikanischen Militärgericht schildert Schrade eindrücklich die von ihm erlebten Verbrechen der Nazis. Die Erfahrungen der Entmenschlichung setzen sich wie ein Puzzle zusammen. Dem werden die Aussagen der Angeklagten gegenübergestellt. Diese in einer ganz eigenen Filmsprache in Szene gesetzte Verdichtung ist alles andere als eine gängige Dokumentation eines NS-Prozesses. Basierend auf Gerichtsprotokollen und dem von Carl Schrade 1947 verfassten, erst im Jahr 2014 veröffentlichen Memoiren »Elf Jahre« bedient sich Bernd Michael Lade zwar einer historischen Figur und eines historischen Settings, jedoch inszeniert er diese mit dem Film nicht in einer historisch-dokumentarischen, sondern künstlerischen Erzählung. Eindrücklich gelingt es mit sehr kondensierten Stilmitteln, fast spröde und doch mit emotionaler Wucht, das erlebte System des Grauens und Terrors der Lager kontrastierend mit den entlarvenden Aussagen der Verantwortlichen darzustellen. Der Regisseur bietet damit eine künstlerisch dichte Erzählung an, die bewusst andere filmische Mittel einsetzt als die vielfach gesehenen des historisch inszenierten Dokumentarfernsehens.

Carl Schrade wurde zum Zeugen der Anklage im Prozess gegen Angehörige der SS, der Wachmannschaften sowie Kapos der KZ-Komplexes Flossenbürg im Jahr 1946. Ihn selber hatte die SS in den letzten Kriegsmonaten zum Kapo im Krankenbau des KZ Flossenbürg ernannt. Diese Funktion ermöglichte Schrade, Handlungsspielräume wahrzunehmen, die im Zwangssystem des KZ mitunter zwischen Leben und Tod entscheiden konnten. Wegen einiger Vorstrafen bereits 1934 als sogenannter »Berufsverbrecher« inhaftiert, war Carl Schrade mit diesem Haftgrund in allen fünf Konzentrationslagern registriert. Der Film nimmt diesen Begriff und Vorwurf »Berufsverbrecher« zum Anlass, die Frage nach den wahren Verbrechern zu stellen.

Filmgespräch im Filmhaus Nürnberg am 6. März 2023 zur Premiere des Films »Der Zeuge« mit Dr. Christa Schikorra, Bernd Michael Lade und Guntram Franke (v.l.n.r.)
Filmgespräch im Filmhaus Nürnberg am 6. März 2023 zur Premiere des Films »Der Zeuge« mit Dr. Christa Schikorra, Bernd Michael Lade und Guntram Franke (v.l.n.r.)
Foto: Matthias Fetzer

Das Publikum äußert sich an dem Abend interessiert zum Film, die Fragen und Statements sind nachdenklich und bewegt. Im Filmgespräch wird deutlich, dass immer noch viele, auch interessierte Personen, wenig über die als »Berufsverbrecher« Verfolgten wissen. Das Gespräch kreist um Fragen der Entmenschlichung in den KZs, unsere Verantwortung heute und der Unkenntnis über das Unrecht, das Menschen wie Carl Schrade widerfahren ist. Wir auf dem Podium geben aus unserer jeweiligen Perspektive Impulse und Informationen, wechselnd zwischen künstlerischen und historischen Zugängen.

Dr. Christa Schikorra


Buchcover »Elf Jahre. Ein Bericht aus deutschen Konzentrationslagern«
Quelle: Wallstein

Das Buch »Elf Jahre. Ein Bericht aus deutschen Konzentrationslagern. Herausgegeben und kommentiert von Kathrin Helldörfer, Anette Kraus und Jörg Skriebeleit« ist 2014 im Wallstein Verlag erschienen.

Auch auf der Seite »Die Verleugneten« findet sich eine kurze Biografie von Carl Schrade.

Die SS (»Schutzstaffel«) unter der Leitung von Heinrich Himmler versteht sich als elitärer Wehrverband des nationalsozialistischen Staates. Mit der Übernahme und dem Umbau der Polizei durch Himmler wird die SS zum zentralen Terrorinstrument des Regimes. 1934 erhält sie erhält die Kontrolle über sämtliche Konzentrationslager. Das 1939 gebildete Reichssicherheitshauptamt, die Planungszentrale für die Verbrechen im deutsch besetzten Europa, ist ihr zugeordnet.

Abkürzung für Konzentrations­lager

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

In den Konzentrationslagern ernennt die SS einige Gefangene zu sogenannten Häftlingsvorarbeitern. Für eine bessere Behandlung müssen sie ihre Mithäftlinge überwachen und Anweisungen der SS durchsetzen. Diese beabsichtigte Umkehr von Opfer und Täter führt zu Misstrauen und Spaltung unter den Gefangenen. In vielen Erinnerungsberichten beschreiben Überlebende die sogenannten Kap­os oder Funktionshäftlinge als gewalttätig und grausam.

Als »Berufs­verbrecher« werden seit den 1920er Jahren Personen bezeichnet, die Straftaten begehen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits im November 1933 gehen die Nationalsozialisten entschieden mit einer vorbeugenden Polizeihaft gegen diese Personengruppe vor. Als »Berufs­verbrecher« gilt, wer in fünf Jahren drei Mal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde. Die Kriminalpolizei kann damit Betroffene ohne Verdacht in »Vorbeugungshaft« nehmen.