Rückblick: »Ein anderer Blick auf Heimat«. Ausstellungs-Rundgang und Exkursion zu einer Glasschleife

In der Gedenkstätte Flossenbürg ist gerade die Ausstellung »Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus« zu sehen. Sie befasst sich unter anderem mit einem Thema, das vielen Menschen außerhalb der Oberpfalz nahezu unbekannt sein dürfte: dem Glasschleifen. Im Nordosten der Oberpfalz gab es seit dem 18. Jahrhundert über 200 Glasschleifen und Polierwerke, die an Bächen und Flüssen, außerhalb von Ortschaften, lagen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert bildeten sie einen wichtigen Industriezweig. Heute führt ein 80 km langer Rundwanderweg entlang ehemaliger Schleifwerke, die vor allem touristische Attraktionen sind.

Genau diesem Thema widmet sich die Veranstaltung »Ein anderer Blick auf Heimat«, die am 25. Mai 2025 erstmalig in Flossenbürg stattfindet. Dabei geht es zunächst in eine ehemalige Glasschleife, die Hagenmühle bei Pleystein. Im Anschluss folgt ein Rundgang durch die Ausstellung »Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus«, die auch die Biografie einer Frau erzählt, die aus einer Glasschleifer-Familie stammte und im Nationalsozialismus verfolgt wurde.

Die Teilnehmenden an der ehemaligen Glasschleife Hagemühle in Pleystein.

Die Veranstaltung ist – trotz strömendem Regen – sehr gut besucht. Zahlreiche Erwachsene aus der Region nehmen teil. Ihr Interesse an der Veranstaltung ist groß: Von Anfang an werden Fragen gestellt, es wird Wissen ausgetauscht und es kommt zu anregenden Diskussionen. Einige der Teilnehmenden erwähnen auch familiäre Bezüge zu den Glasschleifen und Polierwerken.

Die Veranstaltung bietet ihnen die Gelegenheit, sich mit diesem Teil ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen und mehr über die Lebenssituation von Glasschleifern und ihren Angehörigen zu erfahren. Andere berichten wiederum, wie über die Menschen, die in den Glasschleifen leben und arbeiten mussten, geredet wurde.

In der ehemaligen Glasschleife Hagenmühle selbst ist heute noch ein Raum erhalten, in dem bis ins 20. Jahrhundert Flachglasscheiben auf Schleiftischen mit Schleifblöcken glattgeschliffen wurden. Der ganze Raum ist überzogen von rötlichem Potéepulver, das für das Polieren benötigt wurde.
Das Weinglas auf rotem Grund ist heute das Wanderzeichen des Glasschleifererwegs. Das hier hergestellte Flachglas wurde jedoch nie zur Herstellung von Weingläsern genutzt.
Die Veranstaltung setzt sich insbesondere auch mit den gesellschaftlichen Annahmen und Vorurteilen zu den in Glasschleifen lebenden und arbeitenden Menschen auseinander.

Im Gespräch in der Hagenmühle selbst stehen die schwierigen Lebensverhältnisse und die soziale Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter in Glasschleifen im Mittelpunkt. Themen also, die heute nur selten besprochen werden. Schnell wird klar, wie zermürbend und gesundheitsschädigend die Arbeit in den Glasschleifen war.

Die Arbeiter lebten mit ihren Familien oft beengt im Werksgebäude, auch Frauen und Kinder mussten mithelfen. Zugleich waren sie nicht gut angesehen und ihre Mitmenschen betrachteten sie mit Misstrauen. Im Angesicht dieser Lebensumstände kommt eine Teilnehmerin der Veranstaltung schnell zu dem Schluss: »Das Romantischste an den Glasschleifen ist eigentlich der Wanderweg«. 

Im Anschluss an die Exkursion findet ein Rundgang durch »Die Verleugneten« statt. Darin wird vor allem auf die Geschichte von Margarete »Gretl« Obermeier eingegangen, die den Bezug der Ausstellung zu den Glasschleifen noch einmal deutlich macht.

Im Rundgang wird die Geschichte von Margarete Obermeier vorgestellt.

So stammte Margarete selbst aus einer Glasschleifer-Familie. Ihr Vater verdingte sich als Tagelöhner. Sie versuchte der ständigen Armut zu entkommen und ließ sich schließlich in München nieder. Dort verdiente sie ihr Geld in Bars und Bordellen. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, verkaufte sie Diebesgut. Das Landgericht München verurteilte sie zu vier Jahren Zuchthaus. Über zwei Strafanstalten wurde sie schließlich im KZ Ravensbrück, später als »asozialer« Häftling im Flossenbürger Außenlager Graslitz inhaftiert.

Margarete überlebte die Lagerhaft und den Todesmarsch und kehrte – gesundheitlich schwer angeschlagen – in die Oberpfalz zurück. Da sie im Konzentrationslager als »asozial« registriert war, erhielt sie jedoch zeitlebens keine Entschädigung für das erlebte Unrecht.

Die Veranstaltung macht die Erfahrungen von Personen sichtbar, die gesellschaftlicher Ausgrenzung und Stigmatisierung ausgesetzt sind. Dabei wirft sie den Blick auf die menschlichen Geschichten, die sich hinter diesen gesellschaftlichen Vorurteilen und Zuschreibungen verbergen.

Wer ebenfalls mehr über die gesellschaftliche Situation und Lebenswelt der Menschen, die in den Glasschleifen leben und arbeiten mussten, erfahren möchte, hat am 27. Juli noch einmal die Gelegenheit dazu.

Philine Höhn

Fotos: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Menschen werden als »asozial« bezeichnet und verfolgt, weil sie in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Arbeits- oder Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger/-innen, Prostituierte oder unangepasste Jugendliche. Ihnen wird vorgeworfen, die Gemeinschaft zu gefährden. Bei ihrer Verfolgung arbeiten Behörden wie Fürsorgeämter, Justiz und Polizei zusammen. Sie schaffen ein engmaschiges Netz aus Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen.

Abkürzung für Konzentrations­lager

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Bezeichnung für alle im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten errichteten Haftstätten für politische Gegner/-innen oder Menschen, die zu solchen erklärt wurden. Die Gefangenen sterben an schwerer körperlicher Zwangsarbeit, Unterernährung, Krankheiten, Folter sowie durch gezielte und willkürliche Morde. Die Lager stehen unter Kontrolle der SS (Schutzstaffel). Zwischen 1933 und 1945 waren insgesamt 2,5 bis 3,5 Millionen Menschen in Konzentrations­lagern inhaftiert.

Nach 1945 gibt es verschiedene Ent­schädigungsregelungen für Verfolgte des Nationalsozialismus. In Westdeutschland gilt das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) über Geld- bzw. Rentenleistungen. In der DDR erhalten Überlebende Geld und Sachleistungen von den »Ausschüssen der Opfer des Faschismus«. In Österreich regelt das Opferfürsorgerecht mögliche Ansprüche. In allen drei Staaten bleiben als »Asoziale« und »Berufsverbrecher« Verfolgte über Jahrzehnte von Ent­schädigungen ausgeschlossen.

In fast allen Konzentrationslagern werden insbesondere ab 1942 sogenannte Außen­lager eingerichtet. Die dort inhaftierten KZ-Häftlinge müssen Zwangsarbeit leisten. Die Lebensbedingungen sind dabei ebenso unmenschlich wie in den Hauptlagern. Insgesamt entstehen mehr als 1.000 Außen­lager im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten.